Wie dich die Helden deiner Kindheit ein Leben lang beeinflussen
von Heidi, 17. November 2020
Heidi, 17. November 2020
Mut, Tapferkeit, Intelligenz, Ausdauer. Diese Eigenschaften nutzt ein Held, um Böses zu bekämpfen und schwere Aufgaben zu bewältigen. Kein Wunder, dass Helden eine faszinierende Wirkung auf uns ausstrahlen. Doch ist es möglich, dass der Einfluss unserer Kindheitshelden noch viel weiter über pure Faszination hinausgeht?
Der Typ des Heldens aus Sicht der Wissenschaft
Nur 7 % der Kinder finden ihr Vorbild im privaten Umfeld. Vielmehr sind es Figuren aus Fernsehen oder Märchen, zu denen Kinder aufschauen. Doch wir Menschen bewundern unsere Helden nicht bloß. Wir sind ihnen ähnlicher, als zunächst vermutet. Laut aktuellem Forschungsstand korrelieren Helden und Jugendliche sowohl in ihren Stärken, Eigenschaften, Erlebnissen, Verhalten und Gedanken miteinander. Ja, es besteht sogar ein Zusammenhang zwischen den Arten von Helden und Jugendlichen. Das ergab kürzlich eine empirische Studie zur Wahrnehmung von Fernsehhelden an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München (Lattner, 2019).
Helden werden oft als fiktive Charaktere gesehen, die in der Realität keinen Platz haben. Die Wissenschaft relativiert die strikte Grenze zwischen fiktiven Kindheitshelden und Jugendlichen jedoch immer mehr. Abgesehen von Superkräften und Überdimensionalem nehmen Heldenfiguren eben mehr Einfluss auf unseren Alltag, als wir zunächst vermuten würden.
Der Einfluss der Helden der Kindheit auf die Persönlichkeitsentwicklung
Ob nun Harry Potter, Pippi Langstrumpf oder Spongebob Schwammkopf: Solche Helden prägen, oftmals unbewusst, unsere Persönlichkeit. Doch ist das immer eine gute Sache? Lasst uns nun einen Blick auf die möglichen Vor- und Nachteile des Einflusses von Heldenfiguren auf uns Sterbliche werfen.
Die gute Nachricht zuerst: Die Liste der Vorteile von Heldenfiguren übersteigt die der Nachteile um Längen.
Der Charakter zählt
Helden sind oftmals zu Beginn Außenseiter, die sich irgendwie von der breiten Masse abheben und anschließend zum Helden mutieren. Somit beweisen Helden, dass Außenseiter ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen können. Heldenfiguren drehen den gesellschaftlichen Spieß um. Sie zeigen außerdem, dass Heldenmut weder an das äußere Erscheinungsbild, noch an den sozioökonomischen Status gebunden ist. Heldentum erlangt man ausschließlich durch Taten. Im Studium sieht das ganz ähnlich aus: Während in der Schulzeit eher Aussehen und Markenkleidung relevant waren, zählen an der Universität nun Ehrgeiz, Wissen und individuelle Wertehaltungen. Gerade diese Eigenschaft teilen Studenten und ihre Helden. Der gesellschaftliche Status der ehemaligen Schulzeit wird an der Universität zurückgesetzt und das Spektrum verschiebt sich von Materialismus zum individuellen Charakter.
Helden als psychischer Schutzfaktor
Beliebt oder unbeliebt, dünn oder dick, reich oder arm: Wie bereits erwähnt kann ein Held in jeder Form auftreten. Dies erweckt in uns ein Gefühl der Verbundenheit, denn wir können uns mit unserem Helden identifizieren. Vielleicht macht dein Held dasselbe durch, womit auch du tagtäglich zu kämpfen hast. Neben Verbundenheit stellt dies auch eine emotionale Unterstützung dar. Zu sehen, dass derartige Probleme überwindbar sind, schafft Optimismus. Dieser fungiert wiederum als protektiver Faktor, stärkt deine Resilienz und wirkt psychischen Störungen entgegen. Verallgemeinernd könnte man also behaupten, Helden wirken als sozial-psychische Unterstützung und fördern die mentale Gesundheit.
Emotionen und Moral
Ein Held steht außerdem zu seinen Emotionen, bleibt sich selbst treu und setzt sich offen mit Problemen auseinander. Er enttabuisiert den offenen Umgang mit vielerlei Emotionen. Er handelt auch nicht egoistisch, sondern im Gemeinwohl aller und ist somit auch als moralisches Vorbild geeignet. Gerade diese Balance aus moralischem Handeln und tapferem Zielstreben stellt eine wunderbare Balance dar, nach der sich jeder in seiner Persönlichkeitsentwicklung orientieren kann.
Tatendrang und Vernunft
Eine weitere Eigenschaft von Helden ist der Tatendrang - Helden handeln. Sie schaffen Motivation und Mut und wirken somit stimulierend auf die eigene Handlungsinitiative. Und auch die Art wie sie handeln, ist speziell: Obwohl Helden oft von intensiven Emotionen geleitet sind, bleiben sie rational. Dies vermittelt uns, dass Vernunft am effektivsten wirkt. Genau wie Helden sind auch Studierende engagiert und voller Tatendrang. Sie gelten als interessiert an politischen Themen, beteiligen sich aktiv an jeder gesellschaftlichen Debatte und wirken gerne überall mit. Genau wie Helden zeichnen sie sich durch hohes Engagement aus. Da auch ein Studium viel Selbstdisziplin erfordert, gehen Studierende zumeist rational und gut überlegt an Dinge heran. Heldenfiguren wirken dabei zusätzlich motivierend und erfüllen die wichtige Rolle, Leitbilder für vernünftige Handlungen zu geben. Weil Helden ihr Ziel immer vor Augen haben, dienen sie gerade damit den Studis als Vorbilder.
Kreativität
Helden zeichnen sich außerdem durch Komplexität und Kreativität aus. Flink finden sie unkonventionelle Lösungsansätze, die ihnen bei der Problemlösung helfen. Somit eignen sich die Charaktere hervorragend, um Kreativität und Problemlösungsstrategien zu fördern. Die Aufforderung zur Kreativität wirkt antreibend auf die Ausführung unserer Hobbys, fördert die individuelle Charakterbildung und könnte uns sogar die ein oder andere berufliche Zukunftsvision liefern. Vor allem im Studium bieten sich hierfür viele Gelegenheiten, denn Studierende gelten als offene, flexible und neugierige Geister. Ihre Experimentierfreudigkeit regt die Kreativität an und lässt sie leicht neue Tätigkeiten, darunter vielleicht auch zukünftige Berufsfelder, erkunden.
Die Liste der Nachteile mag viel kürzer sein als die der Vorteile. Dennoch sollten diese Nachteile nicht auf die leichte Schulter genommen werden, denn sie könnten fatale Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes haben - mit Auswirkungen bis in das Erwachsenenalter.
Gewaltverharmlosung
Helden wenden oftmals Gewalt an, um an ihr Ziel zu kommen. Gewalt wird damit nicht nur allgemein verharmlost, auch wird der Anschein erweckt, es wäre legitim, den Weg zu seinem Ziel zu erzwingen und dabei anderen zu schaden. Friedliche und demokratische Handlungsalternativen sowie Kompromisse werden oft nicht bedacht. Dies könnte zu Folge haben, dass wir in unserem sozialen Umfeld ähnlich agieren.
Schwarz-Weiß-Denken
Gerade Kinderfilme und Märchen sind von einem sturen "Schwarz-Weiß"-Schema geprägt. Die Menschen sind entweder gut oder böse. Weshalb Bösewichte so handeln, wie sie es eben tun, trifft auf wenig Verständnis. Filme sind oft blind für andere Perspektiven.
Bösewicht als Vorbild
Abgesehen davon, dass Bösewichte oft vielleicht einen gar nicht so schlechten Kern haben: Für delinquente Jugendliche oder Menschen, welche anfällig auf externe Einflüsse sind, könnten schädliche Handlungen sogar stimulierend wirken. Dass Bösewichte dann oft noch als cool dargestellt werden, intensiviert diese schädliche Wirkung noch einmal. Bei solchen Bösewichten besteht also die Gefahr, dass diese doch zu Vorbildern erhoben werden.
Oberflächlichkeit
Vergesst ein wenig, was ich vorhin über "unwichtiges Erscheinungsbild" gesagt habe. Zwar werden Helden oft als Außenseiter dargestellt. Genauso oft sind sie aber auch unrealistisch makellose, attraktive Wesen und erwecken leicht Komplexe bei den Heranwachsenden. Das dadurch vermittelte ideale Körperbild ist somit ein weiterer Kritikpunkt des typischen "Heldenfilms". Natürlich wird dieser Aspekt im Studium nicht gänzlich verschwinden, wird jedoch zunehmend durch innere Werte relativiert und verliert somit an Gewicht.
Wie denke ich heute darüber?
Zuletzt möchte ich noch erwähnen, wie ich retrospektiv über die Helden meiner Kindheit denke. Während ich als Kind die Gegenpole von Helden und Bösewichten unhinterfragt hingenommen habe, bedenke ich inzwischen auch die Gegenseite. Die Königin in Schneewittchen war vielleicht nicht die pure Bosheit in Person, sondern eine Frau, die einfach nur neidisch war und selbst mit Komplexen über ihr Äußeres zu kämpfen hatte. Dies bedeutet natürlich nicht, dass sie Schneewittchens Herz hinausreißen lassen sollte, aber es erweckt dennochim gewissen Maß Verständnis und Mitleid. Dass Pippi Langstrumpf mit 9 Jahren völlige Narrenfreiheit genoss, erweckte als Kind zwar Neid und Bewunderung, als junger Erwachsener treten aber eher Sorge und Kritik an der väterlichen Fürsorge auf.
Zusammenfassend besteht die Heldenwelt für mich heute aus Grauzonen und nicht mehr aus sturem Schwarz-Weiß-Denken. Die Komplexität der Welt nimmt mit steigendem Alter zu und die Welt ist zwar nicht mehr in Schubladen geordnet, dafür aber authentisch und wahr. Für mich unterstützt das Studium diesen fortlaufenden Prozess immens, denn an der Uni lernte ich nicht nur für meine spezifische Studienrichtung. Was jedes Studium gemein hat: Die Erkenntnis, unterschiedlichste Sachverhalte differenzierter und komplexer zu betrachten. Vor allem im Umgang mit anderen Menschen ist dies besonders nützlich: Es fällt zunehmender leichter, sich in andere hinein zu versetzen und Handlungen zu verstehen. Ich hoffe, dass jeder diese Entwicklung durchmacht und sich in diesem Text wiederfinden kann!