Studenten-Senioren-WG: Wohnkonzept der Zukunft?

Hochschulinitiative Deutschland

von Christin, 10. November 2021

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von Christin, 10. November 2021


Wohnraum wird vor allem in den Großstädten immer teurer. Besonders benachteiligt auf dem hart umkämpften Wohnungsmarkt sind Menschen mit geringem Einkommen und wenigen Sicherheiten - und das betrifft vor allem Studierende. Studentenwohnheime und -apartmenthäuser sind meist hoffnungslos überlastet und WG-Zimmer heiß umkämpft. Ergebnis sind die berühmt-berüchtigten WG-Castings, in denen potentiellen Mitbewohner*innen probekochen oder ihre Putzskills unter Beweis stellen müssen. Aber es gibt auch Alternativen zur herkömmlichen Studierenden-WGs: Immer größerer Beliebtheit erfreut sich das Konzept Wohnen gegen Hilfe, bei dem Studierende und Senior*innen gemeinsam leben.

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Wohnen gegen Hilfe: Was ist das?

In mittlerweile über 30 deutschen Städten gibt es "Wohnen für Hilfe"-Projekte und die Bundesarbeitsgemeinschaft wächst stetig weiter. Eine Übersicht der teilnehmenden Partner kann auf der Webseite der humanwissenschaftlichen Fakultät Köln, die die Initiative 2009 ins Leben rief, eingesehen werden. Das Konzept ist denkbar einfach: Senior*innen oder anderweitig hilfsbedürftige Personen können günstigen oder gar kostenfreien Wohnraum gegen Hilfe bei der Bewältigung des Alltags anbieten.

Damit reagieren die Projekte auf gleich zwei gesellschaftliche Probleme: Viele ältere Menschen wohnen allein in einer zu großen Wohnung, nachdem die eigenen Kinder weggezogen und der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin verstorben sind. Sie vereinsamen nicht nur, sondern haben auch Schwierigkeiten, die große Wohnung (oder das Haus mit Garten) allein zu pflegen. Gleichzeitig gibt es immer mehr Studierende, die große Probleme haben, in den beliebten Uni-Städten eine Wohnung oder ein WG-Zimmer zu finden. "Wohnen für Hilfe" will diese beiden Gruppen zusammenbringen und so eine Win-Win-Situation schaffen.

Was wird von mir erwartet?

Welche Tätigkeiten die Hilfe in einer Mehrgenerationen-WG genau umfasst, wird in einer individuellen Vereinbarung festgehalten. Häufig warten solche Aufgaben auf die jungen Mitbewohner*innen, die ältere oder beeinträchtigte Personen nicht oder nur mit Mühe selbst erledigen können, wie Putzen, Kochen oder Einkaufen. Es gibt allerdings auch Angebote, bei denen Studierende schlicht Zeit mit den Senior*innen verbringen, gemeinsame Aktivitäten vorbereiten und durchführen oder einfach als Gesprächspartner*innen für sie da sind. Im Schnitt kann von einer Zeitstunde im Monat pro bewohntem Quadratmeter ausgegangen werden - für ein 20m² Zimmer würdest du also etwa 20 Stunden im Monat Hilfe leisten.

Dabei ist jedoch wichtig festzuhalten, dass von dir keinerlei Pflegeleistungen, zum Beispiel das Waschen oder Anziehen von hilfsbedürftigen Personen, verlangt werden können. Diese Tätigkeiten dürfen nur von ausgebildeten Pflegefachkräften erbracht werden und gehören ausdrücklich nicht zu den Hilfsleistungen in Mehrgenerationen-WGs.

Wer kann mitmachen?

Grundsätzlich können alle Personen mitmachen, die Lust auf ein solches Konzept haben. Voraussetzung ist in der Regel, dass du eine Haftpflichtversicherung hast, die einspringt, sollte etwas passieren. Oftmals ist außerdem eine Mindestwohndauer von 1 bis 2 Jahren in den Verträgen festgelegt, damit ständige Aus- und Einzüge die Senior*innen nicht belasten. Studierende sollten natürlich auch grundsätzlich den Willen haben, sich sozial zu engagieren.

Auf der Seite der Anbietenden von Wohnraum findet man einerseits Privatpersonen: Senior*innen oder Rollstuhlfahrer*innen zum Beispiel, die ein leeres Zimmer haben und ein wenig Gesellschaft und Hilfe suchen. Andererseits gibt es auch Seniorenwohnheime oder Einrichtungen für Menschen mit Einschränkungen, die an Studierende Zimmer vermieten, damit diese sich zusätzlich zum oft überlasteten Personal mit den Bewohner*innen beschäftigen und für einen abwechslungsreicheren Alltag sorgen.

Neben dem klassischen Modell der Mehrgenerationen-WG gibt es inzwischen auch mehr und mehr Alleinerziehende oder Familien, die sich zusätzliche Unterstützung im Alltag wünschen und an "Wohnen für Hilfe" Projekten teilnehmen. Die Vermittlung von Studierenden an Wohnraumgeber übernimmt dabei in der Regel ein zentraler Ansprechpartner im Landkreis, etwa ein Studierendenwerk oder die Stadtverwaltung.

Welche Besonderheiten bringt eine Mehrgenerationen WG mit sich?

In einer Wohngemeinschaft mit älteren oder hilfsbedürftigen Personen wohnst du nicht in einer typischen "Studentenbude". Das heißt:

  • WG-Partys sind nur nach vorheriger Absprache und evtl. in eingeschränktem Maße möglich
  • Absprachen und besondere Rücksichtnahme sind auch wichtig, wenn du erst spät nachts nach Hause kommst
  • Du kannst dich mit deinen Mitbewohner*innen nicht im selben Maße über gemeinsame Erfahrungen in der Uni austauschen wie in einer WG aus Kommiliton*innen
  • Der Tagesrhythmus von jüngeren und älteren Menschen ist oft sehr unterschiedlich
  • Bei den persönlichen Interessen gibt es mitunter wenige Überschneidungen.

All das solltest du dir vorher klar machen, denn es kann auch mal Spannungen geben. Mit guter Kommunikation, einer gewissen Kompromissbereitschaft und gegenseitiger Rücksichtnahme lassen sich allerdings viele Schwierigkeiten vermeiden. Außerdem wirst du eine ganz andere Art von Beziehung erfahren, die es in herkömmlichen Studierenden-WGs nicht gibt:

  • Gerade für Erstsemester, die eine stärkere Familienanbindung gewöhnt sind und erstmals allein in einer fremden Stadt wohnen, kann eine Mehrgenerationen-WG einem Gefühl der Einsamkeit vorbeugen.
  • Senior*innen verfügen über Lebenserfahrung, die sie in der Regel gerne teilen.
  • Du hast sehr geringe Wohnkosten
  • Deine Sozialkompetenz wird gefördert und du wirst mit dem Lebensalltag von Personen außerhalb deiner eigenen Peergroup konfrontiert
  • wenn du einen Job im sozialen Bereich anstrebst, kannst du von den Erfahrungen in einer solchen Wohngemeinschaft für dein späteres Leben profitieren

Du solltest in jedem Fall gut überlegen, welches deine persönlichen Wünsche für das Studierendenleben sind: Möchtest du viel erleben, Party machen, ständig mit Kommiliton*innen zusammensitzen? Oder möchtest du dich erst einmal auf deine Studieninhalte konzentrieren und es im privaten Bereich ruhiger angehen lassen? Ob das Konzept der Senior*innen-Studierenden-WG zu dir passt oder nicht, hängt vor allem davon ab, wie du deine Zeit als Student*in gestalten möchtest.

Wohnen für Hilfe: eine alternative Wohnform mit Zukunft?

Das Einrichten von Mehrgenerationen-WGs wird die Wohnungsnot der Studierenden sicherlich nicht lösen können. Jedoch ist es eine alternative Wohnform, die gerade angesichts der alternden Bevölkerung und des andauernden Zuzugs in die (Universitäts-)Städte eine sinnvolle Ergänzung zu bestehenden Wohnkonzepten, wie klassischen WGs oder Wohnheimen darstellt. Das Konzept passt sicherlich nicht zu jeder und jedem: Wilde WG-Partys und durchzechte Nächte sind hier ausgeschlossen. Dafür gibt es mit etwas Glück Einblick in vielschichtige Lebenserfahrungen und das gute Gefühl, sich gegenseitig zu helfen.

Wenn du denkst, dass eine Mehrgenerationen-WG genau das Richtige für dich sein könnte, dann kannst du dich bei einem Partner der Bundesarbeitsgemeinschaft "Wohnen für Hilfe Deutschland" in deiner Region beraten lassen.